Hinter den Kulissen eines Konflikts

Es begann leise und unbemerkt. Anna und Markus arbeiten seit ein paar Wochen gemeinsam an einem neuen Projekt. Zu Beginn lief alles wie selbstverständlich, aber inzwischen sprechen sie nur noch das Nötigste miteinander. Kleine Missverständnisse häufen sich, Absprachen dauern länger und in Meetings liegt eine Spannung, die niemand offen anspricht. Für ihre Führungskraft Christoph fühlt es sich an, als würde ein unsichtbarer Widerstand wachsen. Alle spüren den Knoten, aber niemand kann ihn wirklich greifen.

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass hinter solchen Spannungen selten Inkompetenz oder gar Unwillen steckt. Viel öfter prallen innere Motivstrukturen aufeinander. Bei unseren Motiven handelt es sich um Grundbedürfnisse, die beeinflussen, wie Menschen arbeiten, denken und entscheiden.  Wenn ein Mensch Struktur und Planbarkeit braucht, während eine andere Person Freiheit und Variation lebt, dann stoßen zwei gut gemeinte Logiken aufeinander. Beide handeln verantwortungsbewusst. Beide möchten ihren Teil zum Projekt beitragen und dennoch entsteht Reibung. Ähnlich verhält es sich mit Einfluss und Gleichwertigkeit, Harmonie und Konfliktbereitschaft, Sicherheit und Risiko, Ruhe und Stimulation. 

Vorverurteilungen zementieren Konflikte

In meiner Arbeit begegne ich diesen Dynamiken immer wieder. Teams mit hoher fachlicher Kompetenz geraten ins Stocken, weil unterschwellig Spannungen wirken, die niemand klar benennen kann. Verhalten wird dann schnell moralisch eingeordnet. So gilt jemand als „zu dominant“, „zu empfindlich“ oder als „unzuverlässig“, obwohl sich dahinter meist ein gegensätzliches Motiv verbirgt. Führungskräfte versuchen dann, Verhalten zu korrigieren, anstatt die Grundmotive zu erkennen, die dieses Verhalten antreiben. So entstehen wiederkehrende Muster: Rückzug trifft auf Dominanz, Perfektion auf Pragmatismus, Harmonie auf Streitlust. Der Teufelskreis der Konflikte nimmt seinen Lauf.

Die Frage nach dem Warum

Damit es gar nicht erst so weit kommt, setze ich häufig das Reiss Motivation Profile® (RMP) ein. Mit diesem Modell schauen wir „hinter die Kulissen“ des Verhaltens der Beteiligten. Es zeigt uns, warum Menschen tun, was sie tun. Für die eigene Selbstführung als Führungskraft bedeutet das Klarheit: Wer die eigenen Motive kennt, gestaltet seine Arbeit so um, dass er daraus Energie zieht. In der Führung schafft das RMP eine Sprache, die weit über pauschale „Motivation“ hinausgeht. Es macht sichtbar, ob jemand eher Sicherheit benötigt oder mehr Freiheit, Einfluss oder Struktur. So öffnen sich Wege zu einer individuellen und damit wirksameren Führung jenseits von Einheitsrezepten. Und nicht zuletzt ermöglicht die Kenntnis der Motivstruktur, Konflikte besser zu verstehen. Denn viele Spannungen entstehen genau dort, wo Motive kollidieren. Wenn diese Muster erkennbar werden, verlieren Missverständnisse ihre Dramatik und Beziehungen gewinnen an Stabilität.

Hintergrund

Das Reiss Motivation Profile (RMP) zählt zu den bedeutendsten und empirisch am besten belegten Motivationskonzepten der modernen Psychologie und wird weltweit in Forschung, Coaching und Personalentwicklung eingesetzt. Motive im Sinne des RMP sind die tief verankerten psychologischen Grundbedürfnisse, die unser Denken, Fühlen und Handeln antreiben. Sie entstehen aus biologischen Anlagen, frühkindlichen Prägungen und individuellen Erfahrungen und erklären, warum Menschen unter denselben Bedingungen Unterschiedliches wollen, suchen oder vermeiden. Wer seine Motive kennt, versteht, was ihn wirklich antreibt und wo Zufriedenheit und viele alltägliche Konflikte ihren Ursprung haben.

Motive ändern sich nicht

Wichtig im Umgang mit dem Thema der intrinsischen Motivation ist die empirisch gut belegte Erkenntnis, dass sich Motivstrukturen im Laufe des Lebens kaum verändern.  Menschen können ihre Motive besser verstehen und bewusster damit umgehen. Sie können sie aber nicht grundsätzlich umformen. Wer also versucht, andere oder sich selbst „umzuprogrammieren“, kämpft gegen stabile innere Strukturen an. Führung, die das berücksichtigt, wird realistischer und respektvoller: Sie zielt nicht auf Veränderung der Person, sondern auf den bewussten Umgang mit unterschiedlichen Motivsystemen.

Klarheit ermöglicht Verantwortungsübernahme

Ich liebe den Moment, in dem jemandem bewusst wird, welche Motive beim Gegenüber sichtbar werden. Das verändert in der Regel alles. Aus Irritation entsteht Erleichterung. Aus „Der will nicht“ wird ein: „Ach das ist seine innere Logik“. Genau dort beginnt Gelassenheit, denn nun können wir bewusst und konstrukitv mit Unstimmigkeiten umgehen. 

Haltung verhindert Konflikte

Motivarbeit wird deshalb zu einer Haltung. Sie lädt uns dazu ein, uns selbst besser kennenzulernen, bevor wir über andere urteilen. Sie öffnet den Raum, um nach den zugrundeliegenden Motiven zu fragen und die Unterschiedlichkeit als Ressource zu erkennen. Wer Verantwortung für die eigene innere Dynamik übernimmt, führt also sich selbst bewusster und schafft damit ein Umfeld, in dem Zusammenarbeit leichter, respektvoller und tragfähiger wird.


Whitepaper Download: Führ' dich doch selber.

Denn Mitarbeitende verlassen keine Unternehmen. Sie verlassen Führungskräfte.

  • Alarmierende Zahlen: Mitarbeiterbindung erreicht Tiefpunkt
  • Führung ist nicht alles – aber ohne gute Führung ist alles nichts
  • Führungsalltag unter Druckoperative Hektik statt strategischer Weitsicht?
  • Oft unterschätztes Erfolgs-Duo: Selbstführung und emotionale Intelligenz
  • Selbstführung in der Praxis: 3 zentrale Bausteine
  • Die 5 Säulen erfolgreicher Führungskommunikation
  • Von Kommunikation zu WirksamkeitFührung, die ankommt